Im Werk „Reigen“ des Schriftstellers Arthur Schnitzlers scheint die Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse im Vordergrund zu stehen. Die zehn Dialoge, mit Ausnahme des letzten Dialoges, finden ihren Höhepunkt im Koitus. Von der Eile getrieben, gehen die Figuren kurz nach dem sexuellen Akt ihren eigenen Weg. Liebe und eine gewisse Zuneigung wird vergebens gesucht. Diese hat nach den Moralvorstellungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts im Rahmen der Ehe statt zu finden. Die Idealvorstellungen von Liebe, die alles Elend besiegt und Hindernisse überwindet, wie sie in der künstlerischen Epoche der Romantik entstand, wurde zwar nach aussen gewahrt, doch Vernunftsüberlegungen, wie Macht und Geld nahmen bei der Partnerwahl überhand. Die romantische Liebe als sinnstiftendes Element einer emotionalen Verbindung war nur noch maskenhaft vorhanden. Ist eine Beziehung folglich rein zweckorientiert und nicht ein Akt aus Liebe? Schaut man sich die Tierwelt an, so dient die Partnerschaft primär der Fortpflanzung und der Aufzucht der Jungen. Meist findet sich Männchen und Weibchen nur zur Paarungszeit zusammen und sobald die Befruchtung stattgefunden hat oder spätestens, wenn der Nachwuchs auf eigenen Beinen steht, löst sich die Partnerschaft auf. Im darauf folgenden Jahr bilden sich neue Paare. Doch lässt sich eine Beziehung zwischen zwei Menschen ebenfalls rein auf ein triebhaftes Verhalten zurückführen? Der Mensch verfügt durchaus mit Eintritt der Pubertät über das Bedürfnis nach Sexualität, was zum Fortbestand der Menschheit beiträgt, doch Liebe und Zuneigung sind zwei weitere grundlegende Bedürfnisse, die ein Mensch von seinem Partner, seiner Partnerin erfahren kann. Bereits ein Neugeborenes sucht nach Liebe und Zuneigung, welche essentiell für die Entwicklung eines Kindes sind. Die Folge fehlender emotionaler Zuwendung, gepaart mit unzureichender Reizvermittlung und Erziehung, sind schwerwiegend. Säuglinge und Kleinkinder verkümmern in solchen Situationen körperlich und seelisch, was sich an der körperlichen und motorischen Entwicklung, in der Entwicklung der Sprache und des Denkens, sowie im Gefühlsleben und Sozialverhalten zeigt. Diese leib-seelische Störung, die zuerst in Hospitälern beobachtet wurde, wird als Hospitalismus bezeichnet. Obschon Kleinkinder, die in Kinderheimen aufwuchsen oder längere Zeit in Spitälern verbrachten, gefüttert, gepflegt und gebadet wurden, entwickelten sie sich oftmals schlechter, als andere Kindern und wiesen eine weitaus höhere Sterblichkeitsrate auf. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit von Liebe und Zuneigung für den menschlichen Organismus, welche auch im erwachsenen Alter nicht verschwindet, unabhängig davon, ob es sich hierbei um Mutterliebe oder Herzenswärme des Partners, der Partnerin handelt. Beim Stillen eines Neugeborenen wird dasselbe Hormon ausgeschüttet, wie bei zärtlichen Berührungen oder wenn es beim Geschlechtsverkehr zum Orgasmus kommt. Oxytocin, umgangssprachlich auch als „Kuschelhormon“ bekannt, ermöglicht eine starke Mutter-Kind-Bindung, schafft Nähe und stärkt die Bindung zwischen zwei Liebenden. Dem entgegengesetzt steht die Entwicklung, dass immer mehr junge Menschen Dating-Plattformen wie Tinder nutzen, um ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen, ohne dabei eine verbindliche Beziehung eingehen zu müssen. Liebe steht hier nicht im Vordergrund. Dennoch scheint der Gedanken den Menschen zu missfallen, lediglich Mittel zur Bedürfnisbefriedigung eines anderen zu sein. Auf diese Problematik wies bereits Immanuel Kant in der „Metaphysik der Sitten“ hin. Der einzige Ausweg aus dieser entwürdigenden Situation sah Kant im ehelichen Vertrag. Nur dieser garantiere Wechselseitigkeit und Verbindlichkeit. Stellte einst die Ehe eine lebenslange Verbindung dar, wird heute laut den Berechnungen des Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2018 jede dritte Ehe geschieden. Um eine gewisse Sicherheit zurück zu gewinnen, schliessen besonders in der USA viele Paare sogenannte „love contracts“ ab. Dabei erstellen die Partner einen gemeinsamen Vertrag, der das Zusammenleben in der Beziehung regeln soll. „Du sagst mir mindestens einmal am Tag, dass du mich liebst, damit ich auch weiss, dass du es ernst mit mir meinst.“ So lautet die Regel Nummer 21 eines über Twitter veröffentlichen Vertrages, den ein US-amerikanisches Paar geschlossen hat. Ob durch ein solchen „love contract" zwischen den Vertragspartnern echte Romantik entsteht und die romantische Liebe als eigentlich sinnstiftendes Element einer Beziehung zurück gewonnen werden kann, bleibt dahin gestellt.