Meist wird ein Buch nicht einfach so geschrieben. Wie dieses Werk eingebettet ist, sprich wann, wo und wieso wer und für wen welche Art von Literatur schrieb, wird hier erläutert. Besonders interessant ist auch, wie die Öffentlichkeit auf Reigen reagierte.
Im Winter 1896/97 schuf der Wiener Arzt, Erzähler und Dramatiker Arthur Schnitzler das Drama Liebesreigen,dessen Titel er später auf Rat des Theaterkritikers Alfred Kerr zu Reigen umbenannte. Schnitzler war ein Freund Sigmund Freuds und teilte dessen Interesse für die Psychologie. Dies wird auch in diesem Drama deutlich, in dem er das Augenmerk hauptsächlich auf die psychischen Vorgänge seiner Figuren lenkt. (mehr zu A. Schnitzler unter Home) Schnitzler schrieb dieses Werk mitten in der Zeit der Wiener Moderne (ca. 1890 – 1910) und gilt als einer der bedeutendsten Vertreter dieser Epoche. Zu dieser Zeit nach dem Zerfall der konservativ-katholischen Habsburgermonarchie und vor Beginn des Ersten Weltkrieges kam es unteranderem zu einer Blütezeit der Philosophie, Musik und Literatur. In Wien herrsche ein vielschichtiges und spannungsgeladenes politisches Leben. Während sich der Naturalismus im Aufschwung befand, bildete die Wiener Moderne eine Art Gegenbewegung. Konträr zum Naturalismus wendeten sich Künstler nun dem Inneren und der Psyche zu. Es kam zur Ich-Zergliederung, bei der der Zusammenhang von Ich und der Gesellschaft bzw. Welt nicht mehr rational begründet wird. Anstelle dessen zeigte sich deren Verbindung an den Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, sowie zwischen Verstand und Gefühl. (Wikipedia, 2019) Es ist anzunehmen, dass Schnitzler sowohl vom Naturalismus als auch von deren Gegenbewegung der Wiener Moderne beeinflusst wurde. So ist in Reigen einerseits das Motiv der «hässliche» Wirklichkeit als die Natur vorhanden, als auch jenes des determinierten Menschen, der von seinen inneren Treiben und Verlangen gesteuert wird. Dieser Zeitgeist war vor allem in den Städten vertreten.
Von Beginn an glaubte Schnitzler, dass dieses Stück auf einer zeitgenössischen Bühne nicht aufführbar sei. So liess er den Reigen auf eigene Kosten als Privatdruck in einer Auflage von 200 Exemplaren drucken. Dieses «unverkäufliche Manuscript» wollte er lediglich als persönliches Geschenk an gute Freunde übergeben. Obwohl Reigen erst im Jahre 1903 von wenig respektablen Wiener Verlag veröffentlicht wurde, rezensierte man dennoch schon vorher wild über dieses öffentlich kaum zugängliche Buch. Kaum vorstellbar ist das enorme Aufsehen, welches das Buch nach seiner Veröffentlich erzielte: In acht Monaten wurden zehn Auflagen gedruckt und 14'000 Exemplare verkauft. Die Leute diskutierten und stritten über dieses Werk. Auch die Behörden beschäftigten sich damit, kamen jedoch zum Schluss sie können es der Öffentlichkeit nicht vorenthalten und verheimlichen. Reigen wurde gar als eines der frechsten Bücher überhaupt bezeichnet. (Koebner, 2014) Reigen ist ein Drama der aussergewöhnlichen Art. Nicht nur der provozierende Inhalt, sondern auch der Aufbau des Werkes ist speziell. So folgt das Stück in keiner Hinsicht, den Regeln des klassischen Dramas. Weder pyramidaler Aufbau in fünf Akten noch die drei Einheiten (Einheit der Zeit, Ort und Handlung) wurden eingehalten. Vielmehr beginnt jede der zehn Szenen mit einem meist knappen Nebentext, dem dann ein Dialog ohne «geistreiche Bemerkungen» (Felix Salten, 1903) folgt. Dafür, dass dieses Buch aber laut Salten jegliche Aphorismen[1] fehlen würde, zog das Werk viele grosse Reaktionen mit sich. Als das Buch 1904 zum ersten Mal beschlagnahmt wurde, wollte die Kette der Verfahren gar nicht mehr aufhören, so dass 1927 selbst Schnitzler nicht mehr wusste, ob Reigen nun verboten sei oder nicht. Unterdessen gab es auch beliebig viele Anfragen bezüglich geschlossener Vorlesungen oder Aufführungen, die Schnitzer trotz teilweise grosser finanzieller Verlockung vehement ablehnte. Nur Max Reinhard, der erste Theatermann Deutschlands schaffte es schlussendlich Schnitzler zu einer Erstaufführung zu überzeugen. (Koebner, 2014, pp. 16 - 18) Die Uraufführung war für den 23. Dezember 1920 in Berlin geplant. Wenige Stunden vor dem Öffnen der Vorhänge wurde die Premiere jedoch vom preussischen Kulturministerium verboten. Den Direktoren drohte eine sechs wöchigen Haft. Doch dies hielt Schnitzler von nichts ab und so wurde die Premiere wie geplant durchgeführt. Nachdem sich die Richter das Stück selbst zu Gemüte geführt hatten, wurde 1921 das Verbot wieder aufgehoben. (Koebner, 2014) Sogleich folgten im Februar 1921 diverse Demonstrationen und grobe Störungen der Vorstellung durch das entrüstete Publikum. So verbot der Wiener Polizeipräsident zum «Schutz der öffentlichen Ruhe und Ordnung» jede weitere Aufführung. Nach der Uraufführung in Berlin kam es sogar zu einem Prozess, bei dem sich sowohl Direktoren, Regisseur, sowie Schauspieler des Schauspielhauses Berlin, vor Gericht behaupten mussten, schlussendlich die fünftägigen Verhandlungen aber gewonnen. Dieser Reigen-Prozess ist in literarischen und künstlerischen Kreisen insofern bedeutend, als dass es sich nicht nur um die Frage Kunst oder Unmoral handelte, sondern letzten Endes auch um die politische Frage, ob der Staat der Kunst Vorschriften machen dürfe. (Wikipedia, 2019) Nach diesem reisen hin und her kam es erst 1982 zur offiziellen Freigabe des Reigens, deren zahlreiche Aufführungen folgten. 1950 wurde das Stück mit grossem Erfolg verfilmt: La Ronde hiess der Film, Regie führte Max Ophüls. Fast vergessen, war damals jedoch, dass es bereits 1920 eine erste Verfilmung von Richard Oswald, einem Aufklärungsfilme – Regisseur, gegeben hat. Es folgten weitere Adaptionen wie Filme Parodien, Musiktheater und Ballettstücke. Somit ist Reigen ein in breitem Spektrum vertretenes und immer noch höchst aktuelles Werk.